„Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung“
Frau von Giesen, kaum eine Branche erlebt derzeit solch enorme Veränderungen wie die Energiewirtschaft. Was ist in Ihren Augen das Kernthema, mit denen sich die SWK beschäftigen muss?
Ganz klar die Wärmewende. Ich möchte hier auch bewusst nicht von Energiewende sprechen, sondern es geht vor allem um die Wärme, weil sie einfach einen viel größeren Einfluss auf das Klima hat als beispielsweise die Elektrizität.
Vor welchen Herausforderungen stehen wir da?
Die Wärmewende wird sehr kleinteilig sein mit lokalen Lösungen. Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung. Energiesysteme und ihr Umfeld werden immer dezentraler, dynamischer und komplexer. Die Dekarbonisierung, also die Reduzierung von CO₂-Emissionen mit dem langfristigen Ziel, keine Treibhausgasemissionen mehr auszustoßen, ist eine riesige Aufgabe mit hohem Kosten- und Sanierungsaufwand. Und bei all dem Wunsch nach mehr Klimaschutz und weniger Emissionen muss man auch die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit im Auge behalten.
Können Sie das etwas konkretisieren?
Beispiel Wärmepumpen. Wärmepumpen benötigen Strom. Wenn nun jeder eine Wärmepumpe installiert, müssen die Netze dafür ausgelegt sein. Wir haben unsere Stromnetze mit unserem Projekt GridCal bereits digitalisiert und können so in Echtzeit sehen, wie belastet das Netz in dem jeweiligen Gebiet ist. Die komplette Verstärkung des Netzes ist aber unternehmerisch nicht sinnvoll - nicht nur weil sehr kostenintensiv, sondern vor allem, weil sehr langwierig. Das würde deutlich mehr als 20 Jahre brauchen. Insofern macht es keinen Sinn, in ganz Krefeld die Netze zu verstärken, damit jeder an jedem Ort eine Wärmepumpe installieren kann. Vielmehr müssen wir in den verschiedenen Vierteln unterschiedliche Lösungen anbieten. Das kann dann beispielsweise auch bedeuten, dass dort eben Fernwärme die Lösung ist. Oder individuelle Wärmepumpen. Oder eine andere Technologie.
Zum Beispiel?
Das können wir jetzt noch nicht hundertprozentig wissen. Gemeinsam mit der Stadt Krefeld prüfen wir z.B. Quartierslösungen, also Nahwärmenetze mit unterschiedlichen Energie-Erzeugern. Das kann eine Großwärmepumpe sein, Biogas oder etwas ganz anderes, etwa Geothermie. Die Welt verändert sich außerdem so schnell, da kann niemand sagen, was in einigen Jahren an Technologien zur Verfügung steht. Wichtig ist, dass wir als Unternehmen flexibel bleiben und gut abwägen. Wir dürfen nicht nur auf eine Technologie setzen und alles andere ausblenden.
Für viele ist Wasserstoff eine Zukunftstechnologie. Auch bei der SWK?
Wasserstoff ist ein großes Thema. Nicht nur bei der Fuhrpark-Umstellung zum Beispiel bei der SWK MOBIL oder den Fahrzeugen unserer Entsorgungstöchter. Wir sehen als SWK Wasserstoff auch ganz klar im Gebäudebereich als unverzichtbar an. Wir brauchen eine speicherfähige Form von Energie, vor allem im Winter, wenn es früh dunkel wird, keine Sonne mehr scheint und kein Wind weht, aber der Bedarf nach Wärme hoch ist.
Wäre es denn so ohne weiteres möglich, mit Wasserstoff statt Gas zu heizen?
Wir haben die Infrastruktur liegen. Durch die Leitungen, durch die heute Erdgas strömt, könnte man auch Wasserstoff schicken. Das ginge bereits heute mit einer Beimischung von 20, vielleicht 25 Prozent. Aber wenn Deutschland in der Mitte dieses Jahrhunderts komplett aus der Gasversorgung aussteigen möchte, muss man das System natürlich irgendwann komplett auf 100 Prozent umstellen. Dafür müssten wir bzw. Handwerksbetriebe dann in den Keller von jedem unserer Kunden, um die Anlagen umzurüsten.
Klimaschutz und Energiewende dominieren die öffentliche Diskussion und bestimmen die politischen Vorgaben. Wie zufrieden sind Sie mit den politischen Rahmenbedingungen?
Ich habe Verständnis dafür, dass die Situation auch für die Politik neu ist und die politischen Entscheider natürlich auch unsicher sind, wohin die Reise geht. Mir fehlt aber ein wenig Pragmatismus bei den Entscheidungen, es wird zu viel von Beginn an ausgeschlossen. Und es dauert häufig einfach zu lange. So diskutiert man seit mittlerweile 20 Jahren über die Stromtrassen, die quer durch die Republik die Energie aus erneuerbaren Quellen transportieren soll. Und sie sind immer noch nicht fertig gebaut, dabei sind diese Leitungen unabdingbar für das Gelingen der Energiewende. Das muss einfach schneller gehen, auch wenn es mal unbequeme Entscheidungen sind, die die Politik dann fällen muss. Dass man schneller sein kann, haben wir ja jetzt bei der Errichtung der LNG-Terminals gesehen.
Wenn ein junger Mensch gern bei Ihnen anfangen möchte zu arbeiten, was müsste der an Rüstzeug mitbringen?
Er darf keine Angst vor Komplexität haben. Und er braucht Frustrationstoleranz, denn es gibt auch Projekte, die nicht zum Ziel führen oder die nur auf Umwegen finalisiert werden können. Man braucht einen langen Atem. Ich bewege mich oft auf unsicherem Terrain. Da braucht es den Mut, die nächsten Schritte zu gehen. Man muss auch mal stehen bleiben, reflektieren und einen neuen Blick auf die Dinge werfen. Denn wie vorhin schon angedeutet: Die Dinge ändern sich zum Teil ziemlich schnell. Da muss ich dann flexibel sein und meinen Lösungsweg auch mal anpassen. Wir arbeiten durchaus an innovativen Projekten, aber die meisten davon sind für die Menschen da draußen nicht sichtbar. Der Fernwärmespeicher am Voltaplatz ist da eine Ausnahme, weil hier auch nach außen eine Lösung für die Energiewende sichtbar wird. Aber es sind immer die treibenden Themen der Gesellschaft, um die wir uns kümmern. Und das macht echt Spaß.