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„Das ist eine wahrhaftige Jahrhundertaufgabe“

SWK-Vorstandssprecher Carsten Liedtke fordert, Klimapolitik mehr an Realität und Machbarkeit, dafür weniger an Ideologie auszurichten.  Er sagt deutlich, welche Verantwortung Energieversorger in der Energie- und Wärmewende tragen, fordert Technologieoffenheit in der kommunalen Wärmeplanung und ordnet Krefelds Energieträger von morgen ein.
Carsten Liedtke, Sprecher des Vorstands

SWK-Vorstandssprecher Carsten Liedtke fordert, Klimapolitik mehr an Realität und Machbarkeit, dafür weniger an Ideologie auszurichten.  Er sagt deutlich, welche Verantwortung Energieversorger in der Energie- und Wärmewende tragen, fordert Technologieoffenheit in der kommunalen Wärmeplanung und ordnet Krefelds Energieträger von morgen ein.

Herr Liedtke, Deutschland möchte bis 2030 beim Strom zu 80 Prozent über Erneuerbare Energien versorgt sein. Ist das realistisch?

Das ist momentan ein völlig heiß diskutiertes Thema. Ob das gelingt, da darf man wirklich sehr gespannt sein. Wir als Umsetzer an der Basis haben berechtigte Zweifel. Aber es ist nicht unsere Rolle zu zweifeln, sondern es ist unsere Rolle, innerhalb des gesetzlichen Rahmens, den der Gesetzgeber uns gibt, möglichst maximal zu agieren - und das wollen wir auch. Alle Anstrengungen unserer Branche und auch die Planungen der Bundesnetzagentur zum Thema Sicherstellung der Versorgungssicherheit bauen darauf aus, das dies gelingt.

 

Dazu muss genau dieser Rahmen stimmen, doch in Berlin liegt die Ampel aktuell im Dauerstreit um die Ausgestaltung, nicht zuletzt beim Gebäudeenergiegesetz. Geht’s zu viel um Ideologie in diesen wichtigen Zukunftsfragen?

Ich glaube, dass am Ende alle Parteien das Beste wollen. Für das Klima und die Energiewirtschaft. Leider wird manchmal zu zögerlich auf die Fachleute gehört, etwa aus unseren Branchenverbänden BDEW und VKU. Oder gar nicht. Und dadurch entstehen Unsicherheiten dort, wo die Energie- und Wärmewende umgesetzt werden soll.

 

Zum Beispiel?

Es gibt viele elementare Fragen, die Antworten bedürfen. Nehmen wir zum Beispiel die Bewertung von Siedlungsabfällen. Da hat Frau Lemke eine andere Meinung als Herr Habeck. Unsere geht so: Siedlungsabfälle bestehen zu 55 Prozent aus organischem Material und diese 55 Prozent sagen ganz klar, dass sie erneuerbar sind. Es ist unvermeidbarer Abfall, der dann ja durch unser Sortiersystem schon dezimiert wurde auf das, was danach noch übrigbleibt. Es wäre zum Beispiel mal eine wichtige Weichenstellung des Bundes, ihn auch so zu deklarieren.

Beim Brennstoffemissionshandelsgesetz wird rumgeeiert, dass dafür eben noch Emissionszertifikate zu lösen sind – obwohl damit keinerlei Lenkungswirkung erzeugt wird. Wir benötigen hier und an einigen anderen Stellen ganz dringend Klarheit, damit wir diesen Shift von dem einen System in das völlig anders aussehende System auch wirklich schaffen.

 

Steht wirklich ein kompletter Systemwechsel an?

Wir müssen das gesamte System einmal komplett umkrempeln. Es sind Infrastrukturinvestitionen erforderlich, in einer Dimension, die man sich so kaum vorstellen kann. Und dies ist auch der Grund, weshalb das Ganze nicht so schnell geht, denn das passiert in ganz Deutschland parallel. Wir reden hier nicht über Krefeld, das klimaneutral werden möchte, sondern das ganze Land, das sind tausende von Städten und Gemeinden und damit ist es ein gewaltiges Problem. Das ist eine wahrhaftige Jahrhundertaufgabe, die wir uns jetzt vorgenommen haben, so hat uns die Politik es zumindest in die Bücher geschrieben. Und die es gilt in allerkürzester Zeit zu realisieren.

 

 

Was heißt das konkret für Krefeld?

Bei uns in der Stadt haben heute - und das ist in ganz Deutschland nicht viel anders -  72 Prozent der Gebäude einen Gasanschluss. Dann haben wir noch 14 Prozent Ölheizungen, der Rest sind dann ein paar Wärmepumpen und Nachtspeicherheizungen (12 %) . Und dann natürlich Fernwärme, die bei uns nur 3% Prozent ausmacht. Das ist ungefähr der Mix und den krempeln wir jetzt einmal von links nach rechts um. Das, was heute den kleinsten Anteil hat, soll demnächst den größten Anteil haben. Dazu müssen wir die dahinterliegenden Netze und die Erzeugungsanalagen einmal komplett neu konzipieren und erstmalaus dem Boden stampfen, Wir reden hier von Investitionskosten von mehr als einer Milliarde Euro. Dabei ist aber noch gar nicht klar, wie wir und danach unsere Kunden diese Aufwendungen überhaupt bezahlen sollen.

 

Nun kommt das Gebäudeenergiegesetz mit seinen kurzen Fristen und seinem Fokus auf Wärmepumpen vor einem Plan zur kommunalen Wärmeplanung. Die richtige Reihenfolge?

Sicher nicht, leider, aber wir sind mit der Stadt Krefeld in intensiven Gesprächen, wie eine kommunale Wärmeplanung auf Basis der vorhandenen Infrastruktur und mit den hier Krefeld gegebenen Möglichkeiten von Entwicklung oder Neubau mittelfristig aussehen kann. Dabei müssen wir uns technologieoffen und ideologiefrei an der technischen Machbarkeit orientieren. Auch, was zumutbare Kosten für uns als kommunalen Unternehmen und insbesondere die Bürgerinnen und Bürger anbelangt. Wenn wir den Argumenten aus dem Wirtschaftsministerium folgen, wird die Wärmepumpe künftig alles lösen. Wenn Sie die Argumente derer hören, die alles umsetzen sollen: Wird sie nicht, kann sie auch gar nicht, aus mehreren Gründen.

 

Die wären?

Lassen Sie zunächst dafür werben, dass wir es wirklich individuell machen. Straßenzugweise und die Gebäude individuell. So können wir individuell schauen, wo können wir was machen, wo spielt der Eigentümer mit, wo haben wir welche Ressource. Es gibt so viele entscheidende Kriterien. Ist es ein Sechs-Parteienhaus, ist es ein Einfamilienhaus, dies allein bedingt völlig verschiedene Anschlussmöglichkeiten. Ist ein Gebäude für Fernwärme oder für Nahwärme überhaupt geeignet? Verträgt das vorhandene Stromnetz die zusätzliche Wärmepumpe überhaupt ? Wir benötigen eine Vorgehensweise, die nicht alles über einen Kamm schert. Nicht alles eignet sich für eine Wärmepumpe oder kann entsprechend hergerichtet werden. Das würde auch die Netzinfrastruktur gar nicht leisten können.

 

Können Sie das konkret machen?

Sehr konkret sogar, denn wir haben das modelliert. Wenn jetzt ganz viele Wärmepumpen kommen, dann bricht das Stromnetz zusammen, das ist so. Wir werden unser Netz innerhalb der nächsten acht Monate voraussichtlich komplett digitalisiert haben. Das heißt, wir wissen für jede unserer 1200 Stationen aus der Ferne in Echtzeit, wie hoch die jeweilige Netzlast ist. Durch unsere Simulationen können wir jetzt schon sagen, ab 30 Prozent Durchdringung mit Wärmepumpen, je nach Baugebiet, geht das Stromnetz in die Knie. Warum? Weil Wärmepumpen in der Regel gleichzeitig bei Erreichen bestimmter Temperaturwerte anspringen und weil wir jede Station rein rechnerisch mit 2 KW je Haushalt abgesichert haben. Das heisst, wenn nun gleichzeitig, eine Vielzahl von Wärmepumpen in Betrieb gehen, die eine Leistung von eta 3 bis 6 KW je Anlage aufweisen, kommt unser Netz sehr schnell an seine Leistungsgrenze – übrigens in jeder Bebauungssituation in Krefeld. In Neubaugebieten wegen der dünneren Besiedlung und der höheren Gebäudestandards etwas später, in älteren Bestandsgebieten z.B. in der Innenstadt bereits bei nur wenigen Wärmepumpen.

Können Sie das Stromnetz nicht erneuern?

Könnten wir, indem wir das Netz in der Straße quasi duplizieren. Das ist dann schlichtweg ein Mengenproblem. Wir haben ausgerechnet, wieviel es kosten und wie lange es dauern würde für die ganze Stadt Krefeld. Das wären Stand jetzt etwa 700 Millionen Euro für die Netze, 50 Millionen für neue Transformatoren und würde ungefähr 20 Jahre dauern. Und das sind die heutigen Baukosten in einer Situation in der nur wir in Krefeld dieses Problem zu lösen haben. Das wird aber ein flächendeckendes Problem in ganz Deutschland und so viel Zeit haben wir nicht. Und deswegen sagen wir: Wärmepumpen ja, aber nur punktuell und natürlich nur da, wo wir keine andere Lösung haben.

 

Wäre Fernwärme so eine „andere Lösung“?

Dort, wo wir sie anbieten können, auf jeden Fall. Und der Wärmespeicher sowie die derzeit laufenden Maßnahmen zur Temperaturabsenkung in unserem Wärmenetz macht uns deutlich flexibler und effizienter in Verteilung und Einsatz der Wärme, aber es bleibt dabei, dass der Fernwärmeausbau der teuerste ist. Gerade bei der Fernwärme benötigen wir ein möglichst kompaktes Netz, so kompakt, wie es nur irgendwie geht. Das heißt, es werden zunächst die Anschlussnehmer zusätzlich angeschlossen, die sich besonders nah an der Leitung befinden. Was der Politik immer noch nicht bewusst ist: Bei der Fernwärme zahlt jeder seinen Anschluss selbst, und zwar komplett. Wir sprechen hier nicht nur über den Hausanschluss, sondern über die gesamte Zuleitung vom öffentlichen Netz bis zum Haus.

 

In Zahlen?

Die großen Hochdruckleitungen durch die Straßen schlagen mit 3.000 bis 5.000 Euro pro Meter zu Buche und was ist schon ein Meter im öffentlichen Raum? Gehen wir dann in die Verteilnetze, reden wir immer noch von 1.500 bis 2.000 Euro pro Meter für die Leitungen, die dann zu den einzelnen Gebäuden führen. Das bedeutet, wenn ich da 50 Meter habe, dann kommen da ganz schnell 150.000 Euro zusammen. Und da ist noch kein Wärmetauscher mit eingerechnet, der kostet aber auch vergleichsweise nicht so viel. Vor allem ist jedoch im Gebäude noch nichts getan. Ist jemand 50 bis 100 Meter entfernt, dann ist es eigentlich wirtschaftlich nicht mehr stemmbar. Dafür ist die Fernwärme bzw. das derzeitige Marktmodell nicht gemacht.

 

Kann Wasserstoff künftig eine Rolle spielen?

Also wir sagen ganz klar: er muss. Warum? Zum einen haben wir hier ein Asset im Boden und das heißt heute Gasnetz. Das ist, wenn es auf Polyethylen oder Stahl basiert, zu 100 Prozent erstmal H2-ready. In Krefeld ist das der Fall und es hat eine so große Ausdehnung, dass wir fast jedes Haus erreichen. Wir als Infrastrukturbetreiber sollten dreimal überlegen, bevor wir so etwas stilllegen und rausreißen.

 

Und woher soll der Wasserstoff dann kommen?

Wir sind bereits von einem Konsortium angesprochen worden, das auf Basis einer Zusammenarbeit von OGE (Open Grid Europe) und RWE agiert, wie viel Wasserstoff wir denn brauchen würden. Wir haben die Gesamtmenge des Wärmemarktes Krefeld angegeben und man ist nicht blass geworden. Hier hilft die geostrategische Lage Krefelds nahe an den industiellen Großverbrauchern in NRW. Bleibt die Frage des Transports bis nach Deutschland. Aus meiner Sicht am besten pipelinegebunden aus Nordafrika oder arabischen Staaten , über Schiffe würde der Umwandlungsprozess zu Ammoniak und wieder zurück zu viel Verluste darstellen. Hier muss die Politik einspringen, dass wir die Mengen hinbekommen. Und von einem müssen wir uns dringend lösen: Der Utopie einer Energieautarkie eines Industrielands wie Deutschland. Auf Importe von Energie werden wir immer angewiesen sein. Eine Autarkie ist aus meiner Sicht nur für den Preis einer Deindustrialisierung zu haben – und das können und dürfen wir nicht wollen.

 

Und was ist am anderen Ende bei den Haushalten?

Es gibt heute noch keinen breiten Einsatz von Wasserstoffheizungen, auch wenn diese bereits in den Startlöchern stehen. Ich bin mir aber sicher, dass die einschlägigen Hersteller solche Geräte bei entsprechendem Bedarf schnell in großer Zahl auf den Markt bringen können, zumal das technisch bereits gelöst ist. Nochmal: Wir verfügen hier über ein weitverästeltes Netz, sodass man genau die Stadtteile, in denen Wärmepumpen nicht zum Einsatz kommen und wo das Fernwärmenetze nicht hin entwickelt werden kann, mit Wasserstoff versorgen könnte. So dezidiert müssen wir uns das Straßennetz im Zuge der kommunalen Wärmeplanung zugweise anschauen und deswegen glaube ich, dass Wasserstoff nicht nur eine Rolle spielen kann, sondern muss.